Die sozialen Medien 2025: KI-Müll und noch mehr Hass als früher
Wie steht es um die sozialen Medien? Vor zwei Jahren sah ich sie am Tiefpunkt angelangt. Vor einem Jahr war zu konstatieren, dass es Wunschdenken gewesen war, die eine oder andere Plattform möge bankrottgehen. Twitter hatte die Kurve gekriegt, Meta betrieb bei Facebook und Instagram Business as usual und der neue Stern am blauen Himmel (Bluesky) hatte bereits von seiner Farbe verloren.
2025 setzten sich diese grossen Trends fort. Keines der grundsätzlichen Probleme verschwand oder wurde nur ansatzweise geringer. Dafür kam mit dem KI-Slop – mehr dazu später – ein riesiges Ärgernis dazu. Die Betreiber der Plattformen gehen inzwischen davon aus, dass ihr Schlendrian geduldet wird, selbst wenn er groteske Züge annimmt. Ein Beispiel von unzähligen aus diesem Jahr, aber ein besonders abstossendes: Der republikanische Gouverneurskandidat
twitterte am 25. Juli ein Photoshop-Bild, das ihn am Eingang vor dem KZ Auschwitz zeigt, mit dem Text: «My 0% Unemployment Plan».
Stolze Nazis posieren auf X
Ich habe nachgesehen: Der Tweet ist fünf Monate später noch online und hat nicht einmal eine Community Note bekommen. Und ja, dieser Tweet hat politische Relevanz, indem er in vier (oder fünf) Worten klarmacht, dass wir es mit einem nicht wählbaren Menschenhasser zu tun haben. Trotzdem zeigt er an, auf welchem Niveau wir angelangt sind. Langford wurde für seinen Post «verdroschen» (lambasted), aber auch nur im übertragenen Sinn. Auf der Liste der Kandidaten für die Gouverneurswahl in Kalifornien 2026 ist sein Name weiterhin aufzufinden. Drei Jahre nach Elon Musks Übernahme sind stolze Nazis, die unter ihrem Klarnamen die industrielle Menschenvernichtung propagieren, in der Normalität angelangt.
Bluesky ist nach drei Jahren nicht zu einer Alternative avanciert. Die Plattform wächst weiterhin moderat mit vierzig Millionen Usern im Oktober. Was die Dynamik und die Stimmungslage angeht, wurde meinem persönlichen Empfinden nach der Ton auch bei Bluesky in diesem Jahr rauer. Bei «The Atlantic» gab es vor einem Jahr eine Analyse dazu: Aufgrund der Abwanderung bei Twitter (X) werden diverse Rechte auch auf Bluesky aktiv. Es existieren noch immer deutliche Unterschiede, aber natürlich machen sich die populistischen Diskursmittel der Provokation und Anfeindung bemerkbar. Im Oktober kreuzte das Weisse Haus auf Bluesky auf – und avancierte schnell zu einem der meistgeblockten Account.
Sind diese Plattformen nicht alle «rogue»?
Wenn wir bei der Politik sind: Hat die aufgegeben, irgendetwas regulieren zu wollen? In den USA brauchen wir diese Frage nicht zu stellen, aber wenn Elon Musk klare Wahlempfehlungen zugunsten der AfD ausspricht, könnte man wenigstens in Europa auf den Gedanken verfallen, die Demokratie vor solchen Beeinflussungen zu schützen. Liesse sich nicht viel vehementer von den rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch machen? In der EU gibt es folgende Handhabe (zitiert von «Euronews»):
Sollte X oder eine andere grosse Online-Plattform einen schwerwiegenden Verstoss gegen das DSA begehen, könnte die Europäische Kommission eine Geldstrafe in Höhe von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes der Plattform verhängen. Bislang kam das nicht vor. «Rogue-Plattformen», die sich ihren Verpflichtungen verweigern und «das Leben und die Sicherheit von Menschen gefährden», könnten gemäss DSA ebenfalls mit einer vorübergehenden Sperrung belegt werden.
Mit DSA ist das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) der EU gemeint. Gab es 2025 Fälle bei Twitter, Facebook und Co., die eine solche Einstufung als «Rogue-Plattformen» ermöglicht hätten? Ja. Die EU-Kommission habe Verstösse im Bereich des Jugendschutzes und der Desinformation vor Wahlen festgestellt, berichtete Netzpolitik.org und auch die «Tagesschau» vor zwei Monaten.
Die Brüsseler Behörde beanstandet, dass die Nutzer beim Anzeigen etwa von terroristischen Videos, antisemitischen Texten oder Kindesmissbrauch zu viele Schritte durchlaufen müssten. Diese seien womöglich auch noch irreführend dargestellt. Laut EU-Kommission sind das unnötige Hürden, die nicht im Einklang mit dem europäischen Digitalgesetz stünden.
Vermutlich fände man viel mehr, würde man genauer hinsehen. Ich lese gefühlt alle drei Tage von Online-Mobs, die auf eine Weise auf Leute losgehen, die deren «Leben und die Sicherheit» auf jeden Fall gefährden könnten.
Das Social-Media-Verbot als Drohung
Dass das Wohlbefinden Jugendlicher bedroht ist, darüber müssen wir nicht diskutieren. Seit dem 10. Dezember gilt in Australien ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige. Auch bei uns läuft diese Debatte. Ich bin mir unschlüssig, ob ich für ein Verbot plädieren soll. Aber ich sehe die Drohung eines Verbots als sinnvollen Hebel, um den Konzernen mehr Verantwortung abzuringen. Die oben erwähnten Hürden abzubauen, wäre ein Klacks.
Angesichts der politischen Grosswetterlage müssen wir sogar froh sein, wenn die Regulierung nicht weiter abgebaut wird. Im Januar schlossen die Tech-Bosse und die US-Regierung informelle Allianz, was nicht ohne Folgen blieb:
Die EU steht unter Druck, da US-Tech-Milliardäre sich Trump annähern und gleichzeitig europäische Vorschriften angreifen. Mark Zuckerberg, Geschäftsführer von Meta, verspottete europäische Gesetze als «Zensur», als er ankündigte, die Faktenprüfer in den USA auf Facebook, Instagram und Threads abzuschaffen. Auch wenn diese Massnahme nur in den USA gilt, befürchten Aktivisten die Verbreitung ungeprüfter englischsprachiger Inhalte in Europa.
Die KI-Sintflut bricht heran
Jesus reisst Sprüche am Kreuz – KI-Dreck, wie er (nicht im Heiligen) Buch steht.Zum letzten, bereits kurz erwähnten Teilchen in diesem frustrierenden Puzzle. Das sind die Kreationen der künstlichen Intelligenz, die anteilsmässig in den letzten zwölf Monaten massiv zugelegt haben. Im Frühling beschrieb ich das Problem ausführlich, um im April festzustellen, dass Meta nicht gewillt ist, irgendetwas dagegen zu tun. Die Konzerne erfüllen die Pflicht zur Kennzeichnung nicht.
Im Juni liess sich belegen, dass sich KI bereits etabliert hatte, um Facebook inhaltlich mit reaktionären Motiven zu bewirtschaften. Anhand der sogenannten «Bibel-Vlogs» zeigt sich, dass solche Inhalte nurmehr primitivste Unterhaltungsgelüste bedienen. Was die Frage aufwirft, ob sich die sozialen Medien damit nicht selbst ad absurdum geführt und überflüssig gemacht haben.
Trotzdem werde ich mich hüten, (schon wieder) den baldigen Tod der sozialen Medien zu prognostizieren. Sie erwiesen sich in der Vergangenheit als hartnäckig. In der Politik sind sie zu einem so grossen Machtfaktor geworden, dass selbst Politikerinnen und Politiker mit echten Vorbehalten diese Plattformen zur Selbstdarstellung nicht mehr missen wollen.
Eine Prognose wage ich jedoch schon: Es wird auch 2026 schlimmer, nicht besser werden.
Beitragsbild: Mir ging es 2025 auch so – die ganze Zeit (Karola G, Pexels-Lizenz).
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